Dr. Markus Baumgartner, Geschäftsführer und ärztlicher Leiter des Demenzzentrums Sonnweid, und die Bewohnerin Gabriela Brühwiler sprechen über den Alltag mit Demenz, über Beziehungsarbeit, Lebensqualität und Humor.
Frau Brühwiler, wie gestaltet sich Ihr Alltag mit Demenz in der Sonnweid?
Gabriela Brühwiler: Mein Alltag, der ist immer gut, weil ich weiss, worum es geht. Ich habe Alzheimer. Das tut nicht weh. Ich muss einfach gut auf mich achten. Und ich weiss, wo meine Grenzen sind. Hier in der Sonnweid fühle ich mich einfach wohl.
Dr. Baumgartner: Als ich Frau Brühwiler kennengelernt habe, hat sie zu mir gesagt: «Herr Baumgartner, ich weiss, woran ich erkrankt bin. Das ist eine schlimme Erkrankung, aber ich möchte mich nicht so verhalten wie meine Mutter, die auch Alzheimer hatte und ein Leben lang gegen die Erkrankung gekämpft hat. Ich versuche, die Krankheit zu akzeptieren, und konzentriere mich auf das, was noch funktioniert und was für mich gut läuft.» Frau Brühwiler ist ein grosses Vorbild. Sie hat mich tief beeindruckt.
Frau Brühwiler, was ist das Besondere für Sie an der Sonnweid?
Gabriela Brühwiler: Ich bin an einem Ort, wo die Menschen, die uns betreuen, wissen, worum es geht. Sie sind auf Augenhöhe mit uns, und wir helfen im Alltag mit, etwa beim Einkaufen, beim Kochen, beim Gärtnern. Das mache ich sehr gern. Ich möchte nicht nur dasitzen und den anderen zusehen. Ich habe zwar Alzheimer, aber viele Sachen kann ich ganz gut.
Und für Sie, Herr Dr. Baumgartner?
Dr. Baumgartner: Ich möchte an das Gesagte anknüpfen. Das Besondere ist die Fokussierung auf eine beziehungsorientierte Betreuung und Pflege. Begegnung zwischen Menschen kann nur in der Beziehung stattfinden. Man kann jemanden in seinen Grundbedürfnissen gut versorgen, aber das bedeutet nicht, dass die Menschen emotional gut versorgt sind. Das Eingehen auf den einzelnen Menschen ist uns ein Herzensanliegen. Das Verhältnis der Anzahl der Bewohnenden zu den Vollzeitstellen liegt bei annähernd eins zu eins. Wenn es uns gelingt, auf die Bedürfnisse unserer Bewohnerinnen und Bewohner individuell einzugehen, dann können wir sehr vieles im Leben dieser Menschen bewirken.
Was bedeutet für Sie Lebensqualität?
Gabriela Brühwiler: Ich finde, Lebensqualität macht man sich selbst. Ich weiss, worauf es ankommt. Ich bereue nichts. Ich sehe nur noch das Positive.
Dr. Baumgartner: Gute Lebensqualität und Demenz schliessen einander nicht aus, wenn die Umgebung stimmt und auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingegangen wird. Mit besonnenem und einfühlsamem Umgang ist sogar viel Lebensqualität möglich, weil man als Mensch gesehen wird, weil man emotional versorgt ist, weil man ernst genommen wird.
Worauf legen Sie in der Betreuung der Bewohnenden besonders Wert?
Dr. Baumgartner: Besonderen Wert legen wir auf Individualität und Selbstbestimmung. Im Vordergrund steht nicht ein Gesamtkonzept, sondern der Anspruch, ein Konzept für jeden einzelnen Menschen zu entwickeln. Ferner ist uns wichtig, dass wir uns unserer besonderen Verantwortung gegenüber Menschen mit Demenz bewusst sind, im Wissen, dass Menschen mit Demenz im Krankheitsverlauf abhängiger werden. Auch die verschiedenen Wohnformen (zum Beispiel Wohngruppen oder Betreuungs- und Pflegestationen) widerspiegeln die Anpassungsfähigkeit an den Krankheitsverlauf.
Welchen Stellenwert hat die Beziehungsarbeit mit den Angehörigen?
Dr. Baumgartner: Die Angehörigen liegen uns sehr am Herzen. Geht es den Angehörigen gut, geht es auch den Betroffenen gut. Zu Beginn der Erkrankung leiden die Betroffenen. Im späteren Verlauf leiden jedoch die Angehörigen oftmals mehr. Wichtige Themen, die wir mit den Angehörigen behandeln, sind Schuldgefühle und Loslassen. Die Beziehungsarbeit erfolgt einerseits formell etwa in Angehörigengruppen oder in regelmässigen Standortgesprächen und andererseits informell bei Besuchen im Haus.
Was macht für Sie die Begleitung von Menschen mit Demenz so besonders?
Dr. Baumgartner: Menschen mit Demenz sind erfrischend anders als wir «Gesunden», die meist sehr kontrolliert sind. Menschen mit Demenz sind authentisch. Man spürt das Gegenüber. Die Antworten kommen direkt und mitunter nicht nur emotional, sondern auch impulsiv. Sie leben im Hier und Jetzt, da, wo das Leben effektiv stattfindet.
Gabriela Brühwiler: Wissen Sie, was vorher war und was nachher ist, interessiert mich nicht. Was für mich zählt, ist der Moment.
Dr. Baumgartner: Mit Menschen mit Demenz erlebe ich immer wieder sehr bereichernde Momente, in denen ich denke: Unglaublich, was diese Menschen im Hier und Jetzt erleben und wie sehr sie bei sich sind. Das berührt mich immer wieder.
Welche Aktivitäten bieten Sie in der Sonnweid an?
Dr. Baumgartner: Mit den Aktivitäten im Haus versuchen wir, den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Aktivierung heisst für uns primär die Gestaltung des Alltags. Wir sind da und wir lassen den Moment wirken, und aus dem Moment heraus darf etwas entstehen: Ein Gespräch, ein Spaziergang oder man geht einkaufen, man bespricht das Mittagsmenü, beginnt zu kochen.
Gabriela Brühwiler: Ich bin zum Beispiel bei den Spaziergängen, beim Tanzen, beim Gärtnern dabei oder wenn wir einkaufen gehen. Die Mitarbeitenden sind froh, wenn ich mitkomme, weil ich sehr gut weiss, wo die Sachen im Geschäft sind.
Welche Aktivitäten tun Ihnen sonst noch gut?
Gabriela Brühwiler: Zeit mit meinem Partner zu verbringen, tut mir gut. Ich wohne hier und er ist bei sich zu Hause. Regelmässig holt er mich für ein paar Tage ab. Dann gehen wir viele Stunden spazieren. Das tut mir gut. Ich habe auch Freundinnen, die mich abholen, und wir unternehmen etwas.
Dr. Baumgartner: In der Sonnweid gibt es ein umfangreiches Angebot an stationsübergreifenden Aktivitäten, wie zum Beispiel Wandergruppe, Spaziergruppe, Yoga, Bewegungsgruppen, Ausdrucksmalen, Chor, Tanznachmittage, Werken, Besuche von Hunden und Kleintieren. Darüber hinaus organisieren wir diverse Anlässe, an denen Betroffene mit ihren Angehörigen unbeschwerte und genussvolle Momente erleben können.
Welche Rolle spielt der Humor in der Sonnweid?
Dr. Baumgartner: Humor hat eine grosse Bedeutung im Haus. Wir lachen sehr oft mit den Bewohnenden. Humor funktioniert und verbindet, ohne dass alles in Worte verpackt werden muss.

Kompetenzzentrum für Demenz:
Beziehung im Fokus
– Zuhause für 174 Bewohnerinnen und Bewohner mit 16 Stationen
– Ausschliesslich Menschen mit Demenz (unterschiedlichste Formen und Schweregrade)
– Haupt-Zielsetzung: Wohlbefinden trotz schwerer Erkrankung
– Demenzfreundliche Infrastruktur: Offene Strukturen, Rampen statt Treppen, viel Bewegungsraum, grosse Aussenanlage
– Bewohnerinnen und Bewohner sind im ganzen Haus unterwegs
– Einer der grössten Arbeitgeber in Wetzikon
– 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter